Die Anfänge eines Turnvereins in Grünberg liegen im Dunkeln. Sie sind nicht, wie es das Vereinsemblem und das geplante Stiftungsfest des TSV Grünberg vermuten lässt, im Jahre 1883 zu suchen, sondern gehen viel weiter zurück, vermutlich in die Zeit von 1848. Es existiert ein Brief vom 11. April 1850, in dem der Vorstand des Turnvereins die Stadt Grünberg um Überlassung „des Trockenhaines“ als Turnplatz bittet. Es ist die erste urkundliche (briefliche) Erwähnung eines Grünberger Turnvereins.
So wie die politischen Umstände des Revolutionsjahres 1848 Grünberger Bürger bewogen haben mochten, einen Turnverein zu gründen, so waren es ebenfalls politische Mächte, die im Zuge der Reaktion 1850 für die Auflösung des Vereins sorgten. Die Vermutung, dass ein erster Verein um 1848 gegründet wurde, wird durch die Existenz der alten schwarz-rot-goldenen Turnfahne, den Farben der demokratischen, freiheitlichen Burschenschaftsbewegung, eng verknüpft mit dem Ideengut eines Friedrich Jahn, erhärtet. Die durch Jahn initiierte, sich rasch entwickelnde Turnbewegung führte zu zahlreich sich organisierenden Turnvereinen. Symbol für die Gesinnung und geistige Strömung jener Zeit waren Schwarz-Rot-Gold und die im Turnerkreuz vereinigten 4 „F“: Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei. Sie waren aufbegehr zunächst gegen die napoleonische Zwangsherrschaft, dann gegen Fürstenwillkür und innerstaatliche Bevormundung.
Eine ausführliche, sehr informative Abhandlung von Prof. Heinrich Sprankel über die Historie der Grünberger Turnerfahne findet man in der Festschrift zum 100jährigen Stiftungsfest.
Doch zurück zur Geschichte des Vereins. Wie oben erwähnt, existierte jener 1. Verein nur kurze Zeit. Dass es 1860 zu einer erneuten Gründung eines Turnvereins kam, bezeugen Dokumente aus dem städtischen Archiv. In einem Brief an die Großherzogliche Bürgermeisterei der Stadt Grünberg im August des Jahres 1860 ist zu erfahren, dass Grünberger Bürger um die Erlaubnis bitten, einen Turnverein neu zu gründen. In einem regen Briefwechsel zwischen dem zukünftigen Vorstand, der Großherzoglichen Bürgermeisterei und dem Großherzoglichen Kreisamt, welches damals auch in Grünberg ansässig war, der sich bis zum Jahresende hinzog, ist zu entnehmen, dass die Erlaubnis letztendlich gegeben wurde. Zuvor wurde jedoch die politische Gesinnung der Antragsteller seitens der Behörden überprüft und die vorgelegte Satzung musste mehrfach abgeändert werden.
Dass der junge Verein in Turnerkreisen schon beträchtliches Ansehen genoss, zeigt die Tatsache, dass schon im Jahre 1863 das erste Oberhessische Gau-Turnfest in Grünberg stattfand. Eines der ältesten Dokumente aus dem TSV-Archiv ist eine Siegerurkunde von jenem Gau-Turnfest, das am 7. Juni 1863 durchgeführt wurde und die als 2. Sieger den Grünberger Turner Karl Hermann Jöckel ausweist.
Karl Hermann Jöckel, ein Name, der im Zusammenhang mit dem Turnverein, aber auch mit anderen Institutionen der Stadt sehr häufig zu lesen sein wird. Es muss schon eine außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein, dieser Sohn der Stadt Grünberg, dem ein Gedenkstein im Brunnental gewidmet ist, der zunächst als aktiver Turner, später als 1. Sprecher über lange Jahre hinweg die Geschicke des Vereins führte und lenkte und dessen Portrait im Archiv der Stadt zu finden ist. Im Jahre 1865 ging er aus dem 2. Gau-Turnfest in Alsfeld als 1. Sieger hervor. Auf den Gau-Turnfesten war der Verein regelmäßig vertreten (E. Dippel, Rübsamen, Stammler, Chr. Frank, Dittmar, L. Schramm,
Karl Hermann Jöckel ).
Aus dieser Zeit liegen einige Schriftwechsel vor, aus denen hervorgeht, dass die Aktiven des Vereins einige Male Ärger mit den städtischen Behörden bekamen, da sie Straßen und Plätze innerhalb der Stadt als Übungsstätte benutzten. Ausgewiesene Sportstätten gab es noch nicht. Es ist auch in jenen Briefen von „Waffenübungen“ die Rede. Der Verein hatte wohl, wie später auch, eine Fechtabteilung .
Ein weiterer interessanter Aspekt dieser Korrespondenz ist die in einem Brief an die Großherzogliche Bürgermeisterei angekündigte Bereitschaft, aus den Reihen der Vereinsmitglieder ein freiwilliges „Brandschutzcorps“ aufzustellen. So gesehen eine Art Vorreiter der sich später konstituierenden Freiwilligen Feuerwehr.
Leider war aber auch die Existenz dieses Vereins nur von kurzer Dauer. Er schlief aus unbekannten Gründen 1869 ein und es sollte 14 Jahre dauern, bis es wieder zur Neugründung eines Turnvereines kam.
Den Anstoß dazu gab das 14. mittelrheinische Kreisturnfest im Juli 1883 in Gießen, an dem Grünberger Turner teilnahmen und beschlossen, sich wieder in einem Verein zu organisieren. So kam es gelegentlich des 10jährigen Stiftungsfestes der Freiwilligen Feuerwehr am Abend des 10. November 1883 im „Rappen“ zur erneuten Gründung des Turnvereins Grünberg, der sich heute im Jubiläumsjahr TSV 1883 Grünberg nennt.
Bereits am 13. Dezember 1883 fand die 1. Hauptversammlung im „Rappen“ statt. Hier wurde der Vorstand bestätigt und eine Satzung festgelegt. Man beschloss, in Zeitungsanzeigen für einen Vereinseintritt zu werben und „nach etwa noch vorhandenen Turngegenständen und Turngeräten des früher hier bestandenen Turnvereins“ zu forschen.
Der erste Vorstand bestand aus den Herren:
Ernst Rapsilber, Sprecher
Karl Hermann Jöckel, 1. Turnwart
Otto Robert, 2. Turnwart
Friedrich Schröder, Zeugwart
Michael Jöckel, Schrift und Kassenwart
T. Appel, Beisitzer
A. Maringer, Beisitzer
In jenen Anfangsjahren hatte der noch junge Verein mehr „passive“ als „aktive“ Mitglieder. Letztere fingen im Winter 1883/84 mit den Übungsstunden (2-mal wöchentlich) im Saal des Gasthauses „Zum Rappen“ an. Im Frühjahr, wenn das Wetter es zuließ, wurde Wagners Garten als Turnplatz gemietet und auch auf der nahen Lehmkaute geturnt.
Auch die Stadt unterstützte den Verein tatkräftig. So wurde den Turnern für die winterlichen Übungsstunden das städtische Brauhaus überlassen. Nach dem Bau der neuen Volksschule (roter Backsteinbau 1888) erhielt der Turnverein von der Stadt die Genehmigung, hier für die Sommermonate einen Turnplatz einzurichten.
Als jedoch im Jahre 1895 die Stadt bei Erbauung der Wasserleitung das Brauhaus als Lagerraum benötigte, musste der Verein wiederum in den Saal im Rappen ausweichen.
Wenn der Leser sich das Vereinsleben jener ersten 25 Jahre vorzustellen versucht, taucht ganz schnell die Frage auf, was waren eigentlich die sportlichen Inhalte, wer waren die Protagonisten?
Die sogenannten Aktiven waren vor der Jahrhundertwende ausschließlich männlichen Geschlechts. Das Eintrittsmindestalter betrug 14 Jahre. Man wurde zunächst als „Vorschüler oder Zögling“ aufgenommen. Die sportliche Ausbildung bestand aus Übungen an den traditionellen Turngeräten, aus sogenannten Freiübungen, den volkstümlichen Übungen (heute würde man Leichtathletik sagen) und Halte- und Kraftübungen. Die Freiübungen bestritten die Turner bei Wettkämpfen immer in Gruppen oder Riegen. Das Fechten, Spiele wie zum Beispiel das Schlagballspiel und später auch Schwimmen gehörten ebenfalls zum Repertoire der Turnvereine.
Der Festrede anlässlich der Grundsteinlegung des Turnhallenbaus am 1. Mai 1897 kann man entnehmen, dass der Verein im Jahre 1884, also in seinem ersten Jahr, genau 26 aktive und 38 passive Mitglieder zählte. Aktive Turnerinnen fanden wahrscheinlich erst nach der Jahrhundertwende Zugang zum Verein. In den Aufzeichnungen wird eine Damenriege zum ersten Mal im Jahre 1907 erwähnt. Auf dem 37. Gau-Turnfest 1910 trat eine Grünberger Damenriege bei der Eröffnungsfeier auf. Von diesem Ereignis wird später noch einmal die Rede sein.